»Schweinezyklus« – Ausstellung im Lesecafé Anständig essen, Erlangen

Das zentrale Thema in Hartmut Kiewerts Malerei und Grafik ist die Mensch-Tier-Beziehung und herrschaftskritische Perspektiven auf dieses Verhältnis. Der herrschaftskritische Blick wird dabei oft erst auf den zweiten Blick erkennbar. Im Schweinezyklus etwa stellen beim flüchtigen Hinschauen einige Bilder idyllische Tier-Natur-Szenen dar, erst der zweite Blick nimmt Ruinen im Hintergrund und schon halb von Pflanzen überwucherte Maschinen wahr ­– und versteht, dass dies Szenen einer utopischen Idylle sind.

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Die Ausstellung im Lesecafé läuft vom 1. Juni bis 4. September 2014.

Lesecafé Anständig essen
Hauptstraße 55
(Altstadtmarktpassage)
91054 Erlangen

Öffnungszeiten im Juni:
Montag, 9. Juni 2014, 10 – 13 Uhr
Samstag, 14. Juni 2014, 17 – 21 Uhr
Dienstag, 17. Juni 2014, 17 – 21 Uhr
Samstag, 21. Juni 2014, 11:30 – 20:30 Uhr
Sonntag, 22. Juni 2014, 10 – 15:30 Uhr
Mittwoch, 25. Juni 2014, 17 – 21 Uhr
Samstag, 28. Juni 2014, 11:30 – 20:30 Uhr

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Eröffnungsrede von Dr. Jessica Ullrich:

Ich begrüße Sie sehr herzlich zur Ausstellung „Schweinezyklus“ von Hartmut Kiewert im Lesecafé „Anständig essen“.

Es ist mir eine große Freude, dass Arbeiten von Hartmut Kiewert nun auch in Erlangen zu sehen sind. Mittlerweile scheinen die Bilder Kiewerts zu einer Art visuellen Markenzeichen der Tierrechtsbewegung geworden zu sein. Meistens sind sie in einem eindeutig politischen Kontext zu sehen – im Kunstprogramm von Human-Animal-Studies-Konferenzen und oder auf Veggie-Veranstaltungen wie etwa gestern in Nürnberg.

Das liegt natürlich daran, dass Hartmut Kiewert Bilder ein klares Plädoyer für einen gerechten Umgang mit nicht-menschlichen Tieren sind. Kiewert verfolgt einen dezidiert anwaltschaftlichen Ansatz und nimmt eindeutig Partei für Tiere, indem er den Tierrechtsgedanken zum alleinigen motivisch-inhaltlichen Gegenstand seiner Arbeit macht.

Damit steht er in der Kunstgeschichte relativ singulär da – auch wenn die Schar der Mitstreiter_innen im Zuge einer gesamtgesellschaftlichen Sensibilisierung für unerträgliche Ausbeutungsverhältnisse in der Tier-Mensch-Beziehung langsam auch in den Künsten wächst.

Die Verwendung des Tieres als Motiv der Malerei geht auch heute noch zumeist von der Vorstellung einer Hierarchie der Lebewesen aus, bei der der übergeordnete Mensch das untergeordnete Tier in Bilder zwingt. Die Vorstellung vom Tier als passivem Objekt und vom Menschen als aktivem Subjekt dominiert immer noch weite Teile der westlichen Geistes- und Naturwissenschaft, woraus sich die Behandlung nicht-menschlicher Tiere als beliebig formbare Objekte auch in künstlerischen Repräsentationen ableitet.

Hartmut Kiewerts Bilder zeigen eine Alternative zu solcherart tradierten Tierdarstellungen. Seine künstlerische Zuwendung zu nicht-menschlichen Tieren eröffnet einen Ausweg aus dem durchorganisierten, missachtenden und manipulierenden Tier-Mensch-Verhältnis. Er malt die utopische Vorstellung einer Welt, in der nicht-menschliche Tiere ohne Hintergedanken über deren Zweck und Nutzen für den Menschen leben können.

Seine Bilder beweisen dabei, dass man in der Tradition der Tiermalerei – einem oft als sentimental belächeltem Genre – und mit einem beinahe altmeisterlich zu nennenden Duktus durchaus frische, innovative, vielseitige, kritische, politische und durch und durch anständige Kunst machen kann.

Dazu gehört auch, dass Hartmut Kiewert sich einer alternativen veganen Malweise bedient. Keines seiner Malmittel oder Werkzeuge wurde wie sonst in der Ölmalerei üblich durch die Ausbeutung von Tierkörpern gewonnen. Er verwendet also keine Schweineborstenpinsel, Knochenleim oder Ei-Öl-Emulsionen.

Die Bilder des Schweinezyklus sind alle 2011 und 2012 entstanden und widmen sich, der Name sagt es schon, vor allem den Schweinen.

Schweine gehören zu denjenigen Tieren, die Menschen sehr ähnlich sind, sowohl was die genetische Ausstattung als auch die Physiologie, Psychologie und Morphologie und das Sozialverhalten angeht. Vielleicht wird gerade aufgrund dieser Nähe zum Menschen die Bezeichnung „Schwein“ für Nicht-Schweine in einem pejorativen Sinn verwendet, quasi als Versuch der apotropäischen Bannung der eigenen Tiernatur.

Bildwürdig sind die „horizontalen Menschen“, wie Karl August Groskreutz einmal genannt hat, in der Kunstgeschichte vor allem in den sogenannten „Küchenstilleben“. Hier ist jede Identifikation mit den dann verobjektivierten Tieren, ja oft sogar jedes Mitleid, ausgeschlossen. Die Malerei von Hartmut Kiewert weist eine Vielzahl kunsthistorischer Referenzen auf (auch die zu Lebensmittelstilleben wie etwa in der schwelgerischen Malerei von appetitlich anmutendem Obst und Gemüse), aber im Gegensatz zu traditioneller Tiermalerei wird den Tieren in seinen Bildwelten eine eigene Handlungsmacht und Souveränität zugesprochen.

Hartmut Kiewert verleiht den Schweinen eine bisher ungekannte Bildwürdigkeit als autonome Subjekte. Sehr schön ist dieses Abdrücken der tradierten Auffassung von Schweinen in dem als Bild im Bild gemalten Familienporträt einer Muttersau mit ihren Ferkeln auf der Staffelei zu sehen.

Dabei vermeidet Kiewert jeden Anthropomorphismus und Paternalismus. Die Tiere auf seinen Tableaus scheinen ihre Lage aktiv zu beherrschen: Sie haben sich offenbar erfolgreich dem menschlichen Einfluss entzogen und erfreuen sich ihrer Freiheit vor den Ruinen der Tierausbeutungsindustrie. Sie sind keine Ware mehr, sondern post-revolutionäre Akteur_innen ihres Schicksals und autonome Subjekte ihres Lebens. Sie haben den Raum zurückerobert, teilweise übernehmen sie sogar wie selbstverständlich vormals menschliche Interieurs. In der Emanzipation vom Menschen ist dann auch konsequenterweise die Trennung zwischen Haus- und Wildschweinen aufgehoben.

Die auf den ersten Blick idyllischen Szenen enthalten meist Reminiszenzen der alten Weltordnung. So sehen wir bei einer Waldszene den Nachhall der Hölle, aus der die Schweine entkommen sind in Gestalt eines umgestürzten Tiertransporters. Auch die Tiere selbst sind oft noch Gezeichnete, doch die Markierungen auf ihrer Haut bilden nur noch eine böse Erinnerung an vormaliges Leid.

Die verfallenen Reste von Tierfabriken, Bunkern oder Chemielager werden als überlebte, nur noch ruinöse Mahnmale der Schreckensherrschaft der Menschen über die anderen Tiere aufgerufen, während im Vordergrund Schweine von einer menschenleeren, teilweise endzeitlichen Landschaft Besitz nehmen.

Dabei ist keineswegs das komplette Ausscheiden der Menschheit aus dieser Zukunftsvision mitgedacht; vielmehr ist auf einigen der Tafeln auch der deutliche Wunsch nach einer Versöhnung der Arten und einem friedlichen Miteinander von Menschen und den anderen Tieren malerisch ausformuliert.

Kunstwerke spiegeln einerseits die Vorstellungen, die eine Gesellschaft von Tieren hat und Kunstwerke haben andererseits Einfluss darauf, wie über Tiere gedacht wird und wie Tiere behandelt werden. Insofern kann Kunst, die Gewalt- und Herrschaftsverhältnisse immer nur wiederholt und sei es auch mit guter Absicht etwa um Grausamkeiten vor Augen zu führen – vielleicht weniger ausrichten als Kunst wie die hier ausgestellte von Hartmut Kiewert, die ein positives Zukunftsszenario entwirft.

So wunderbar es ist, dass das Lesecafé „Anständig essen“, diese Ausstellung ausrichtet, würde ich mir doch wünschen, dass die Bilder von Hartmut Kiewert häufiger auch außerhalb der veganen Community gezeigt werden. Denn ich denke, dass sie auch Leute außerhalb von Tierrechtskreisen sensibilisieren könnten für den Eigenwert und die Autonomie der anderen Tiere.

Jedenfalls ist die Utopie, die Hartmut Kiewert zeichnet, nur durchzusetzen, wenn die große Masse der Bevölkerung auf die – nicht nur für Tiere – fatalen Folgen ausbeuterischer kapitalistischer Systeme und speziesistische Strukturen aufmerksam gemacht und zum Umdenken bewegt wird. Ein Ort wie dieser und eine Ausstellung wie diese sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.

Jessica Ullrich

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„Es geht darum, ein neues Zusammenleben mit den anderen Spezies zu ermöglichen. Und die Hoffnung lautet, dass da, wo man alte Formen des Unrechts weglässt, neue Formen eines besseren Miteinanders von Menschen und Tieren entstehen.

― Hilal Sezgin

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