Seit 2008 beschäftige ich mich intensiv mit dem Mensch-Tier-Verhältnis und versuche es mit den Mitteln der Malerei neu zu verhandeln. Einerseits spielt der soziale Status von Tieren seit den frühen Höhlenmalereien eine Rolle in der bildenden Kunst, andererseits kann Kunst Normen, Machtverhältnisse und tradierte Bedingungen in Frage stellen und neue Perspektiven aufzeigen.
Zu Beginn meiner künstlerischen Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnis malte ich Fleischlandschaften und an ihre ursprünglichen Körper rückgekoppelte Fleischstücke, als Versuch die Verdrängung des Ursprungs der Joghurts, Wiener und Schnitzel zu unterwandern – der Abwesenheit des Schlachtens und schlechten Lebens der Tiere die Präsenz der Malmasse, der Fleischfarben, die Stofflichkeit der Körper der Tiere entgegenzusetzen.
Bald versuchte ich aber auch andere Perspektiven, sozusagen Gegenbilder zur Tierindustrie zu entwickeln: utopische und dennoch mögliche Szenarien eines herrschaftsfreien Mensch-Tier-Verhältnisses. Bilder in denen Schweine, Kühe und Hühner, aus den Mastanlagen und Schlachthöfen befreit, Parks, Shoppingmalls und Straßen erobern. Die Tierindustrie ist ruiniert und Menschen und andere Tiere begegnen sich auf Augenhöhe. Eine Sicht auf andere Tiere, die nicht von Beherrschenwollen und Objektivierung geprägt ist, sondern sie als Handelnde, als Subjekte ihres eigenen Lebens, als dem Menschen verwandt zeigt.
Ich lebe vegan und achte natürlich auch bei meinen Arbeitsmaterialien, wie Farben und Pinsel darauf, dass sie keine tierlichen Bestandteile enthalten.
Grenzen überschreiten, Grenzen einreißen. Begegnungen zwischen Menschen und (anderen) Tieren
Hilal Sezigin
Je länger ich mich für Tierrechte einsetze und gleichzeitig die Entwicklungen von Kriegen und flüchtenden Menschen beobachte, desto häufiger denke ich: Das größte Problem sind immer wieder die Grenzen. Und je genauer ich Hartmut Kiewerts Bilder betrachte, desto deutlicher sehe ich, dass Hartmut dieses Problem mit den Grenzen schon vor langem erkannte und in seinen diversen Zyklen zu Menschen und (anderen) Tieren immer wieder bearbeitet.
Er tut dies auf künstlerische Art, ich versuche es hier kurz mit Worten: Ich meine nicht allein geografische, sondern auch begriffliche Grenzen. Mit ihrer Hilfe teilen wir, die Mächtigeren, die Gesamtheit der empfindungsfähigen, eigen-willigen, lebensfreudigen Individuen ein in „wir“ und „sie“. Den einen billigen wir selbstverständlich zu, dass sie ihr Leben in Sicherheit und mit größtmöglichem Komfort zu leben wünschen; den anderen zwingen wir ebenso selbstverständlich ein Dasein auf, in dem sie weder Unversehrtheit noch Schutz vor Gewalt noch basale Freuden wie freie Bewegung oder Beisammensein mit der Familie je kennenlernen.
In Hartmuts Szenen werden diese Grenzen nicht gänzlich aufgelöst, sondern ständig und vielmals überschritten. Seine Gemälde spielen mit einem Was-wäre-Wenn, aber es ist eben kein naives Was-wäre-Wenn, sondern eines, in dem Absperrungen und Schranken und Wunden noch sichtbar sind. Die Schweine im Wohnzimmer tragen die Kratzspuren der Enge, die Ferkel die aufgesprühten Nummern noch auf dem Rücken. Die Ruinen von Schlachthöfen stehen im Hintergrund, nun können Kühe sie von außen anblicken. Betonierter Untergrund, Waldboden und Picknickdecke schieben sich in einen Raum zusammen, man hört die Mauern geradezu bröckeln und knirschen. Die Schranke vor dem Geflügelschlachthof wird endlich einmal einem sinnvollen Zweck zugeführt, huhn kann bequem mit den Gefährtinnen darauf sitzen.
Aufgehoben ist auch die Grenze zwischen „Tier“ und „Fleisch“ auf den Tellern, wo sie ja gemeinhin als moralischer Sichtschutz fungiert. Außer Kraft gesetzt das Herrschaftsinstrument des Tiertransporters, den sich im Hintergrund die Birken vornehmen, während sich die Familie der einstigen Gefangenen mit jener der freien Schweine mischt. Ein ähnliches Bild übrigens wird sich (allerdings ohne Wildschweine und Birken) 1959 in Australien geboten haben, nach dem Unfall eines Transporters mit Schweinen. Die Tiere, oder jedenfalls etliche von ihnen, konnten entkommen und bildeten im Namadgi National Park eine beständige Population.
Denn selbst die heutigen, stark überzüchteten Hausschweine besitzen noch das Verhaltensrepertoire ihrer frei lebenden Verwandten. Was also wäre, wenn die Grenzen fielen? Schweinemütter würden sich bequem hinlegen, um ihre Jungen zu säugen. Sie würden ihnen Nester in kleinen, mit Laub gepolsterten Gruben anlegen und müssten die Nase nicht in traurigen Ersatzhandlungen über den leeren Spaltenboden schieben. Die ersten Tage nach der Geburt verbringt eine Sau dann alleine mit ihren Kleinen, danach stellt sie sie peu à peu der Familie vor. Frei lebende Schweine kennen auch das Kindergartenprinzip: Wenn eine Sau auf Nahrungssuche gehen muss, passt eine andere auf die Kleinen auf.
Was wiederum die Menschenkinder angeht, darf man ihr Verhältnis zu anderen Tieren weder ignorieren noch idealisieren. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass vielen Kindern ungefähr im Alter von vier oder fünf Jahren dämmert, dass „Fleisch“ eigentlich „tote Tiere“ bedeutet. Oft werden sie dann zum Aufessen gezwungen, „erzogen“ und oft schlicht belogen. Auch hier hält sich Hartmut Kiewert fern von allem Naiven oder gar Kitschigen; stattdessen erprobt er die Frage, wie ein ungezwungener kindlicher Umgang mit Tieren aussehen kann, in vielen Variationen.
Besonders berührt mich dabei ein Bild auf Seite 104: „The Pigs are alright.“ Das war wohl nicht immer so. Dieses Schwein war unverschuldet in eine üble Lage geraten, aber das kleine Mädchen hatte es bemerkt und glücklicherweise das richtige Werkzeug zur Hand. Die anderen Kinder begrüßen schon freudig den neuen Gefährten.
Aber des Mädchens Hand liegt beinah beiläufig auf dem Rücken des Schweins; sie verlangt kein großes Danken oder Schmusen. Vielleicht ist sie noch ein bisschen erschöpft; wenn sie vorab geahnt hätte, was heute auf sie zukommt, hätte sie vermutlich auch andere Schuhe angezogen… Aber kein Klagen – jetzt ist es ja geschafft! Dieses Mädchen ist auf eine ungerechte Grenze gestoßen und hat sie eingerissen. Tun wir es auch.
Die Mensch-Tier-Beziehung aus herrschaftskritischer Perspektive
Ist es aus emanzipatorischer Sicht unproblematisch nichtmenschliche Individuen einzusperren, zu züchten und zu töten? Sind Tiere etwas ganz Anderes als Menschen – oder hat z.B. ein Schwein größere Ähnlichkeit mit einem Menschen als mit einer Ameise? Woher kommt die vereinfachende Einteilung in Mensch und Tier oder Kultur und Natur? Wie hängen die Legitimationsmechanismen für die Ausbeutung von nichtmenschlichen Tieren und der Natur mit anderen Formen von Ausbeutung und Unterdrückung zusammen?
Mit diesen Fragen habe ich mich im schriftlichen Teil meiner Diplomarbeit (aus dem Jahr 2009/2010) auseinandergesetzt.
Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert:
1. Eine Faktensammlung zum heutigen Umgang des Menschen mit Tieren und eine kurze kultugeschichtliche Betrachtung der Entwicklung der Mensch-Tier-Beziehung, sowie Vorstellung und Kritik der m.E. wichtigsten Positionen zum Thema Tierethik, bzw. Tierrecht und Antispeziesismus.
2. Mein Plädoyer für einen anderen Umgang mit nicht-menschlichen Individuen und Perspektiven für herrschaftsfreie Gesellschaften, sowie eine kurze kunstgeschichtliche Verortung meiner Arbeit.
Hier stehen beide Teile zum lesen und zum Download bereit [Der Text meiner Diplomarbeit ist auch in überarbeiteter Form in meinem Katalog »mensch_tier« enthalten [und kann direkt bei mir oder im Buchhandel bestellt werden.]:_
Schriftlicher Teil Diplomarbeit (Fakten)
Schriftlicher Teil Diplomarbeit (Hauptteil)
Schriftlicher Teil Diplomarbeit (Hauptteil)
Vegane Maltechnik
In den traditionellen Ölmaltechniken werden oft tierliche Materialien verwendet. Angefangen bei Schweineborstenpinseln über Knochen-, Hasen-, oder Hautleim zur Vorgrundierung der Bildträger oder der Verwendung von Ei-Öl-Emulsionen zur Untermalung bishin zu einigen Pigmenten, welche aus Tieren „hergestellt“ werden. Im Folgenden gebe ich eine Übersicht über die von mir verwendeten Materialien und die teils noch zu lösenden maltechnischen Probleme bei einer veganen Öl-Maltechnik.
Ölfarben
Die Binde- und Malmittel von Ölfarben sind rein pflanzlich (unterschiedliche Öle und Harze). Eine Ausnahme stellen die Farben von LUKAS dar, denen leider Bienenwachs beigemischt ist. Die allermeisten tierlichen Pigmente sind heutzutage durch synthetische ersetzt. Ausnahmen stellen etwa Karminrot (Pigment: NR 4 oder NR 3), welches je nach Hersteller nicht immer synthetisch hergestellt wird, sondern durch Trocknen und Auskochen weiblicher Schildläuse „gewonnen“ wird oder Elfenbeinschwarz (Pigment: PBk 9) das aus Knochen hergestellt wird, dar. Elfenbeinschwarz kann allerdings auch in anderen Farben beigemischt sein – etwa in Ultramarinblau oder auch in manchen Erdtönen wie Umbra. Daher ist immer auf den Pigmenamen und die Pigmentnummer zu achten, die bei Künstlerfarben immer auf der Tube/Dose/Flasche angegeben ist (Elfenbeinschwarz echt: PBk 9). Das gilt selbstverständlich auch für Acryl-, Pastell, Aquarellfarben etc. Bei günstigeren Farben ist leider oft nicht die genaue Pigmentbezeichnung angegeben. Eine sehr ausführliche englischsprachige Liste mit Pigmenten findet sich hier.
Eine neuere Entwicklung bei Ölfarben sind wasserverdünnbare Ölfarben, die aus ökologischen und gesundheitlichen Gründen von Vorteil sind, da hier kein Terpentin oder Terpentinersatz verwendet werden muss, um die Farben zu verdünnen. Die von Talens angebotenen wasservermalbaren Ölfaren „Cobra“ sind mit synthetischen Emulgatoren hergestellt. Leider gibt es hier noch kein veganes Schwarz. Bei den wasservermischbaren Ölfarben „Artisan“ von Winsor & Newton ist nur Elfenbeinschwarz unvegan. Hier gibt es zum Glück Lampenschwarz als Alternative. Die von Lukas angebotenen wasservermalbaren Ölfarben „Berlin“ enthalten leider Bienenwachs.
Eitemperafarbe, welche in der traditionellen Schichtenmalerei Verwendung findet, ist offensichtlich nicht vegan. Ich selbst benutze daher keine Eitempera als Untermalung.
Pinsel
Schweineborsten sind verglichen mit Synthetikborsten sehr hart und rau und gut für einen pastosen Farbauftrag mit kräftigem Pinselduktus geeignet. Es gibt inzwischen bei Boesner auch synthetische Borstenpinsel, welche in ihren Eigenschaften relativ nah an Schweinebortsenpinsel heranreichen. (Ich kaufe nur noch diese synthetischen Borstenpinsel, oder andere feinere Synthetikpinsel.)
Malgründe/Bildträger
Die Gewebe, welche für Bildträger in Frage kommen sind pflanzlich (Leinen, Baumwolle, Jute, Hanf ect.). Die meisten im Handel erhältlichen fertigen Leinwände (meist aus Baumwolle und nicht aus Leinen) sind mit einer Acryl-Grundierung versehen und ohne tierliche Leime. (Am besten aber beim Einkauf nochmal nachfragen oder den Hersteller kontaktieren, um sicher zu gehen.)
Da ich aber gerade bei größeren Formaten meine Leinwände selbst baue, ergibt sich hier ein Problem in Bezug auf die Leinwandspannung. Traditionell wird das Rohegewebe auf den Holzrahmen aufgespannt und dann mit Knochen-, Hasen, oder Hautleim vorgrundiert. Dies ist für die Konservierung des Gewebes wichtig (das gleiche kann aber auch ein Acrylbinder leisten) und – wichtiger – für die Spannung des Gewebes. Die tierlichen Leime besitzen, im Gegensatz zu Acrylbinder, die Eigenschaft sich bei der Trocknung zusammen zu ziehen und sorgen somit für eine sehr hohe Spannung der Leinwand. Ich habe bisher noch keinen vergleichbaren synthetischen oder pflanzlichen Leim gefunden (über Tipps wäre ich sehr dankbar) und bin daher dazu übergegangen die schon (mit Acrylgesso/ohne Tierleim; z. B. Henry von boesner) grundierte Leinwand direkt auf den Holzrahmen aufzuspannen. Hierbei habe ich auch bei großen Formaten ganz gute Ergebnisse, in Bezug auf die Spannung der Leinwand, erzielt.
Alternativ kann mensch auch Holz als Bildträger verwenden. Holztafeln haben allerdings den Nachteil, das sie garade bei größeren Formaten sehr schwer sind und zudem auch eher zum Verziehen neigen. Ich verwende Holz nur bei kleineren Formaten.
Des Weiteren benutze ich hin und wieder Polyethylen-Planen, welche rein synthetisch sind. Diese haben allerdings den Nachteil, das sie sich nicht 100%ig plan aufspannen lassen. Außerdem ist die Haltbarkeit der Ölfarbe auf diesem Material über einen längeren Zeitraum, meines Wissens, nicht getestet.
ANIMAL UTOPIA – Gegenbilder zur Tierausbeutung
Text über meine Arbeit für das Magazin TIERBEFREIUNG Nr. 101 (Dezember 2018)
2008 fing ich an mich in meiner Malerei mit dem gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnis auseinanderzusetzen. Angesichts des unermesslichen Leids und Grauens in der Tierindustrie fand ich zunächst gar keine andere Bildsprache als eine, die diese im Alltag verdrängte Gewalt wieder sichtbar macht. Etwa indem ich Fleischstücke an die Körper der ausgebeuteten Tiere rückkoppelte, um damit an die Empathie der Betrachtenden zu appellieren den Horror der Fleisch- Milch- oder Eierindustrie nicht weiter zu unterstützen. Mit der Zeit stellte ich mir die Frage, ob und wie es möglich wäre dieses Gewaltverhältnis zumindest im Bild aufzubrechen und eine Welt zu antizipieren, in der andere Tiere nicht mehr eingesperrt, ausgebeutet und getötet werden.
„Die Utopie steckt jedenfalls wesentlich in der Bestimmten Negation. In der bestimmten Negation dessen was bloß ist und dadurch, dass es sich als ein Falsches konkretisiert immer zugleich hinweist auf das, was sein soll.“
Theodor W. Adorno1
Nun weißt etwa die Kritische Theorie zurecht darauf hin, dass ein „Auspinseln der Utopie“, also eine allzu exakte Definition davon, wie eine befreite Gesellschaft aussehen soll, zu unterlassen sei. Schließlich sind wir, als Kinder des warenproduzierenden Patriarchats2 (Kapitalismus) in unseren Begriffen und Vorstellungen auf die Erfahrungen in dieser von Unterdrückung und Herrschaft geprägten Welt beschränkt. Damit ist die Gefahr groß einiges des Schlechten, was zu überwinden wäre, mit in die Entwürfe der Utopie zu nehmen und so, wenn auch ungewollt, zu reproduzieren. Mit fortschreitender Emanzipation würden sich vermutlich auch die Bedingungen und Möglichkeiten weiterer Emanzipation verändern, die wir von heute aus noch gar nicht in Betracht ziehen können. Zugleich hat eine utopische Blaupause immer auch ein autoritäres Moment, indem von nur einer Perspektive ausgehend eine Art Masterplan formuliert wird, mit dem impliziten Anspruch für alle zu gelten.
Diese Vorüberlegungen in Betracht ziehend war ich mir zunächst sehr unsicher, ob bei den Versuchen etwas Positives zu formulieren, nicht genau diese Probleme zum Tragen kommen, oder die Bilder zu sehr ins Plakative oder gar ins Kitschige abdriften würden. Rückblickend betrachtet scheint dies anhand der Rezeption meiner Bilder zumindest überwiegend nicht der Fall zu sein.
Was ja aus herrschaftskritischer Perspektive durchaus möglich ist, ist ein Ausloten der Rahmenbedingungen einer Welt ohne Herrschaft und das Aufspüren von bereits vorhandenen konkret utopischen Momenten, sowie das Vorschlagen und Ausprobieren von Möglichkeiten eines anderen Zusammenlebens im Sinne eines „Fragend voran“.
Meine gemalten utopischen Szenarien, in denen ich collagenartig mit dem Mittel der Verschiebung sogenannte „Nutztiere“ aus den menschengemachten Ausbeutungsarchitekturen hinaus in unsere heutige Alltagswelt bringe, sind Versuche ein Mensch-Tier-Verhältnis auf Augenhöhe zu antizipieren. Diese Verschiebung soll zunächst einmal Irritation bei den Betrachtenden hervorrufen. Die Normalität, dass sich etwa Schweine in Betonbuchten und Kastenständen befinden wird kontrastiert und in Frage gestellt, in dem sie auf dem Teppich im Wohnzimmer, beim Picknick im Park, vor dem Café oder vor den Ruinen von Schlachthäusern und Molkereien auftauchen. Hier sind sie das, was sie in der Tierindustrie nicht sein sollen, Individuen und Akteur*innen und eben nicht Ressourcen und Waren.
Diese Szenarien in denen Schweine, Kühe, Hühner und andere Tiere sich von Menschen dominierte Räume aneignen, könnten so, oder so ähnlich tatsächlich auch möglich sein. Wobei es sicherlich noch weiterer Veränderung bedürfte als sie auf meinen aus der heutigen Alltagswelt entlehnten Bildräumen zu sehen sind. So wäre etwa die Abschaffung des Individualverkehrs mit PKW und insgesamt eine ganz andere Infrastruktur von Nöten, damit sich andere Tiere gefahrlos in Städten aufhalten könnten. Diese Veränderungen wären natürlich auch ein riesiger Gewinn an Lebensqualität für uns menschliche Tiere. So könnten eben auch Kinder auf den dann vermutlich viel grüneren und schöneren Straßen spielen, während sich in dieser Umgebung so genannte „Haus- und Nutztiere“, wenn sie wollen, sukzessive vom Menschen emanzipieren könnten.3
Auch wenn meine Bildwelten im gewissen Sinne oder sogar im wahrsten Sinne des Wortes als ein „Auspinseln der Utopie“ verstanden werden könnten, sind solche Vorstöße dennoch legitim oder sogar von Nöten. Menschen lassen sich bekanntlich, ob mensch es gut findet oder nicht, meist nicht durch reine Fakten, sondern viel eher durch Erzählungen erreichen. Ein weiterer Aspekt, der im Gespräch mit anderen Aktivist*innen über meine Bilder aufkommt, ist, dass wir als Bewegung bei all dem Grauen der Tierindustrie auch positive Ausblicke als motivierende Momente brauchen.
Nicht zuletzt sind emanzipatorische Gegenbilder zur ausbeuterischen Praxis von Markt und Staat angesichts der globalen Wirtschaftskrise und der sich immer weiter zuspitzenden ökologischen Katastrophe eine Notwendigkeit. Es reicht nicht aus allein bei der Kritik des Bestehenden stehen zu bleiben. Den falschen Antworten auf diese Krisen durch die weltweit erstarkende Rechte müssen starke emanzipatorische Gegenbilder und Praxen entgegen gesetzt werden. Die selbstzerstörerische Vergesellschaftung unter dem Diktat der Verwertung von allem, mit all Ihrer Ausbeutung und Ausgrenzung, muss aufgesprengt werden.
Mit meinen unter dem Titel ANIMAL UTOPIA gefassten Bildern, möchte ich also das utopische Denken außerhalb heutiger (Sach-)Zwänge anregen und Debatten darüber anzetteln, wo nichtmenschliche Tiere heute sind und wo sie sein könnten oder sein sollten.
„[…] indem wir hinfahren, hebt sich die Insel Utopia aus dem Meer des Möglichen“
Ernst Bloch4
1 Theodor W. Adorno im Gespräch mit Ernst Bloch über „Möglichkeiten der Utopie heute“, (SWF 1964)) Quelle: https://archive.org/details/AdornoErnstBloch-MglichkeitenDerUtopieHeuteswf1964
2Den Begriff „Warenproduzierendes Patriarchat“ prägte die Wertabspaltungstheoretikerin Roswitha Scholz. Er verweist auf als weiblich definierte Reproduktionstätigkeiten, wie Kinderbetreuung oder „Hausarbeit“ und deren soziale Pufferfunktion im Kapitalismus.
3 Auch hier gibt es schon heute Ansätze, die ungefähr in diese Richtung weisen. Meist sind diese zwar eher für so genannte „Wildtiere“ angedacht, weiterentwickelt und mit den nötigen Anpassungen könnten sie sich aber auch zur Grundlage einer Dedomistikation und Emanzipation heutiger „Haus- und Nutztiere“ eignen. Als Beispiele seinen hier nur kurz autofreie Straßen, Stadtgärten, begrünte Dächer und Fassaden und vogelfreundliche Fenster genannt. > Siehe hierzu auch die Texte von Mirjam Rebhan „Zusammenleben auf Augenhöhe“, Josefine Paul & Sylvie Müller „Zusammenleben von Tier und Mensch in der Stadt“ und Markus Kurth „Mensch-Tier-Lebensgemeinschaften als Experimentierfelder für eine gerechte Zukunft“ in dieser Ausgabe.
4 Ernst Bloch im Gespräch mit Theodor W. Adorno über „Möglichkeiten der Utopie heute“ (SWF 1964)) Quelle: https://archive.org/details/AdornoErnstBloch-MglichkeitenDerUtopieHeuteswf1964