Vom 23. April bis 11. Juni 2022 stelle ich im Klimaschaufenster in Erlangen aus.
„Animals Crossing – Tiere queren die Straßen, lassen sich auf Kreuzungen nieder und wandern ins Grüne oder in die Shoppingmall. Die realistisch wirkenden Bilder von Hartmut Kiewert zeigen eine utopische Welt, die den Anthropozentrismus hinter sich gelassen hat. Nicht-menschliche Tiere nehmen hier die urbanen und ruralen Räume selbstverständlich mit in Anspruch. Nachhaltigkeitsgedanken zu einer grünen, menschen- und tierfreundlichen Nutzung von Stadträumen mit alternativen Ideen zur Mobilität scheinen wirklich zu werden. Im Hintergrund der malerischen, collagierten Bildräume wird jedoch ein dystopisches Moment sichtbar, welches seine ambivalente Wirkung entfaltet. Konfrontiert mit der Zerstörung von Gebäuden und Straßen wird hier die offene Frage aufgeworfen, welche Veränderungen mit und nach der Klimakrise notwendig sind, um eine Empathie der Verbundenheit zu ermöglichen, die mit den Menschen auch alle anderen Tiere in das Recht auf Leben und Glück mit einbezieht.“
Vernissage
23. April 2022, 17 Uhr
Die Eröffnungsrede hält die Kunsttheoretikerin Ana Dimke
Finissage
11. Juni 2022, 17 Uhr
Mit Künstlergespräch / Dr. Claudia Schorcht im Gespräch mit Hartmut Kiewert
Ausstellungsdauer
23. April – 11. Juni 2022
Öffnungszeiten
Mi, Do: 12 – 18 Uhr
Fr: 12 – 20 Uhr
Sa: 12 – 17 Uhr
So: 11 – 14 Uhr
Sowie zur Langen Nacht der Wissenschaften am 21. Mai 2022 von 18 – 24 Uhr.
Zusätzliche Öffnungszeiten für Schulklassen und Gruppen möglich
Kontakt: info@klimaschaufenster.de
Ort
Klimaschaufenster Erlangen
Hauptstr. 55 (Altstadtmarktpassage)
91054 Erlangen
Animals Crossing.
Hartmut Kiewerts utopische Bildräume
Rede von Ana Dimke am 23. April 2022 zur Ausstellungseröffnung
Der Titel der Ausstellung „No Cars Go“ weist bereits auf eine besondere Situation hin, die uns, angesichts der Klimakatastrophe und des schrecklichen Krieges, auf die Herausforderungen zum ökologisch nachhaltigeren Handeln einstimmt. Neue Situationen werden gezeigt: nichtmenschliche Tiere laufen auf den Straßen, lassen sich auf Kreuzungen und Verkehrsinseln nieder und verweilen in der Shoppingmall. Hartmut Kiewerts realistisch wirkende Malerei eröffnet den Zugang zu einer utopischen Welt, die den Anthropozentrismus hinter sich gelassen hat, in der nichtmenschliche Tiere die urbanen Räume selbstverständlich mit in Anspruch nehmen und auf Augenhöhe mit menschlichen Tieren agieren. Eine grüne, tierfreundliche Stadt mit alternativen Ideen zur Mobilität scheint wirklich zu werden.
Schauen wir uns das der Ausstellung titelgebende Bild „No Cars Go“ genauer an:
Mitten auf einer großen Straße oder Kreuzung, erkennbar durch die Fahrbahnmarkierung, sind in einer pyramidal wirkenden Anordnung verschiedene Lebewesen unterschiedlicher Spezies sitzend, stehend und liegend versammelt. Entfernt erinnert die Ballung der Figuren in der Bildmitte an jene auf dem großformatigen Werk „Floß der Medusa“, 1818/1819, von Théodore Géricault, welches als Sinnbild für das Scheitern der menschlichen Zivilisation verstanden wird. In Hartmut Kiewerts Gemälde ist jedoch keine direkte Katastrophe sichtbar.
Aus einer leicht erhöhten Draufsicht der Vogelperspektive sehen wir: 4 Rinder, 14 Nebelkrähen, 1 Hund, 1 Katze, 1 Waschbär, 2 jüngere Schweine und dazwischen 13 Menschen unterschiedlichen Alters, von denen einer der Künstler selbst sein könnte, zum Teil auf Pappen sitzend, mit Getränk und Gepäck. Im Zentrum des Bildes befindet sich ein besonders schönes, kraftvolles Wesen, das die Betrachtenden direkt anblickt: eine Kuh, die mit aufgestellten Vorderbeinen im Aufstehen begriffen ist – oder legt sie sich im Gegenteil gerade hin? Die anderen, bis vielleicht auf die eine oder andere Krähe, schauen in den Bildraum oder sich gegenseitig an – sind im Gespräch oder ins Smartphone vertieft. Alle scheinen freiwillig hier zu sein. Eine friedliche, vielleicht auch abwartende Atmosphäre breitet sich aus. Die Situation wirkt wie ein Multispezies-Picknick. Oder ist es eher ein Sit-in?
Ein Protest oder zumindest eine Aktion für eine ökologische, tierfreundliche Verkehrswende? Eine aktivistische Multispezies-Gruppe, die sich nach dem Motto: „reclaim the streets“ den Raum aneignet? Hartmut Kiewert gelingt hier eine thematische Verbindung des Motivs der Eroberung der Straße und des Stadtraums mit dem Engagement für Tierbefreiung. Vormals domestizierte nichtmenschliche Tiere können sich hier selbst gemeinsam mit den menschlichen Tieren formulieren. In Vorgriff auf die anstehende gesellschaftliche Transformation wird ihre Emanzipation verbildlicht. Die künstlerische Radikalität heißt hier allerdings nicht weniger, sondern gar kein Auto-Verkehr mehr, um Gestaltungsraum zu gewinnen. In vielen seiner Bildräume verbindet Hartmut Kiewert ökologische Themen, wie hier den Klimawandel und die damit verbundene Verkehrswende, mit der Forderung zur Abschaffung der grausamen Tierindustrie, bei der, anstatt sich mit ihr zu konfrontieren, immer noch zu viele wegschauen. Offensiv kritisch, aktivistisch protestierend gegen jegliche Form der Tierausbeutung ist es sein besonderes künstlerisches Anliegen, die Augen der Betrachtenden zu öffnen. Damit formuliert er seine künstlerische Antwort auf die bedeutsame Frage nach der gesellschaftliche Relevanz von Kunst und darauf: was Bilder ausrichten können.
Tierschutz und Tierrecht sind auch im Kunstkontext zunehmend relevant geworden. Die Integration der sich seit den 1990er Jahren international etablierenden Human-Animal Studies bzw. Critical Animal Studies in die Kunst und ihre Vermittlung erweitern derzeit den kulturellen Bildungsbereich um die tierethische Dimension. Dabei gilt es zu erforschen, wie über die Rezeption von Tierdarstellungen hinaus ein tierethisches Bewusstsein und tiersensibles Handeln in der Kunst entwickelt werden kann, um das gesellschaftliche Interesse an nichtmenschlichen Tieren und wiederum die daraus resultierenden Erkenntnisse auf künstlerische Lernprozesse zu übertragen. Laut Weltklimarat IPCC liegt der Anteil des Ernährungssektors am globalen Treibhausgasausstoß bei etwa einem Drittel. Davon werden ca. 58 Prozent von der Fleischindustrie verursacht, obwohl diese nur 37 Prozent des Proteins und 18 Prozent der Kalorienversorgung der Weltbevölkerung produziert. Der fortgesetzten Klimaschädigung kann also nur durch eine umfassende Änderung im menschlichen Verhalten gegenüber anderen Lebewesen und unserer gemeinsamen Umwelt und Natur begegnet werden. Es stellt sich also auch die konkrete Frage: Wie ist unsere Infrastruktur und wie sind unsere Städte gestaltet? Und weiterführend: Wie müssten oder könnten sie gestaltet sein, um allen Tieren gerecht zu werden?
Ein weiteres Bild der Ausstellung trägt den Titel „Mall 2“. Auch hier sind verschiedene Spezies versammelt, vor allem Kühe und Schweine, aber auch Ziegen. Also Lebewesen, die zumeist zu sogenannten Nutz-Tieren degradiert werden, und dazu spielende Kinder, schwirrende Vögel sowie Erwachsene, die unterschiedlichen Tätigkeiten nachgehen.
Wieder schaut uns eine Kuh, dieses Mal mit ihrem Kälbchen, scheinbar fragend an. Die erstaunliche Szene zeigt sie im künstlichen Licht einer Einkaufspassage und dennoch könnte durch die sommerliche Kleidung der Passanten die Jahreszeit benannt werden. Das Interieur fürs Shopping kann indessen überall auf der Welt vermutet werden. Es sind die immer gleichen Geschäftsketten, die sich global in den Innenstädten wiederholen. Wer möchte, kann jedoch die Höfe am Brühl in Leipzig erkennen. Anzumerken ist, dass der Brühl eine der ältesten Straßen in Leipzig ist und bis zum Zweiten Weltkrieg den Ruf als „Weltstraße der Pelze“ hatte – ein Hinweis auf eine weitere blutige Wahrheit der Tierausbeutung.
Die nichtmenschlichen Tiere werden in dieser dargestellten Shopping Center-Event-Szenerie offenbar versorgt, sogar eine die Konsumlust fördernde Inszenierung scheint plötzlich denkbar, also einerseits integriert, und anderseits wirkt die wetterfest gekleidete Person in gelben Gummistiefeln im Hintergrund irritierend. Sie scheint wie die nichtmenschlichen Tiere von einem Lebenshof, wie Hof Butenland, zu kommen und geradezu hineingebeamt worden zu sein. Für die kontrastierende Szenerie werden Innenraum und Außenraum gleichsam überblendet, nach dem Prinzip der Collage als Verschränkung von Wirklichkeiten.
Nach Fotografien, mit leicht variierenden Duktus gemalt, werden die Figuren in dem Bildraum zusammen- oder auch nebeneinandergestellt. Kein Surrealismus, eher ein Realismus mit dem Anschein von Realität, vielleicht ein positiver Irrealismus: Eine Unwirklichkeit, die als wirklich, glaubhaft und möglich erscheint. Kiewerts Stadtraumbilder zeigen Alltagswelten, denen etwas Naturbeobachtung anhaftet, und können ebenso einer zivilisationskritischen Kulturbetrachtung zugeschrieben werden. Dem Künstler geht es, wie er es selbst formuliert, dabei nicht um eine „fertig ausgepinselte Utopie“, sondern darum, durch die Methode der Verschiebung Kategorien in Frage zu stellen. Sicherlich kennt er die Bewohner*innen von Lebenshöfen, die er hier porträtiert, sogar beim Namen und fördert damit durch seine künstlerische Würdigung die Gleichstellung von nichtmenschlichen Tieren und menschlichen Tieren. Außerdem kommen andere Tiere ja bereits in unsere Städte, und in ihrer bekannten Publikation „Zoopolis“, 2011, haben Sue Donaldson und Will Kymlicka dazu ihre Rechte als Bürger und die gesellschaftlichen, sozialen wie ethischen Konsequenzen bereits dargelegt.
Die Tiermalerei an sich hat eine große Tradition, die sich bis zur Höhlenmalerei zurückverfolgen lässt. Unzählige Bilder und Kunstwerke belegen die kulturelle Bedeutung, die andere Tiere für den Menschen haben. Viele berühmte Beispiele lassen sich dafür finden, wie das Tierstück des 16. Jahrhunderts, der „Feldhase“ von Albrecht Dürer, die Tiergruppen in den Landschaftsbildern des 17. Jahrhunderts oder die Gemälde des Pferdeporträtisten George Stubbs im 18. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert wurde die Tiermalerei durch den Wunsch nach mehr naturkundlicher Bildung populär. Einzelne sogenannte Haustiere, insbesondere Hunde, werden seit langem als Persönlichkeiten durch die Malerei gewürdigt. Gegen den klassischen Kanon der Tiermalerei setzt sich Hartmut Kiewert mit seinem Konzept jedoch für die tierliche Agency, die Berücksichtigung der Handlungs- und Wirkungsmacht nichtmenschlicher Tiere, ein. Sie werden damit nicht länger lediglich als kulturelle Gegenstände oder Symbole oder Metaphern betrachtet, sondern als fühlende und denkende Individuen und gesellschaftliche Akteure wahrgenommen. Mit Tom Regan formuliert sind alle Individuen, „Subjekt ihres eigenen Lebens“, der folglich wie auch Hartmut Kiewert fordert, dass sie „als solche behandelt werden sollten und nicht als Ressourcen und als Waren.“ Seine Haltung ist damit dem animal turn zu verorten, in dem die Gestaltung von Interaktionen und die gemeinsamen Lebensverhältnisse in kultureller, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und historischer Hinsicht ethisch neu bewertet werden. Insbesondere Fragen von Machtstrukturen, Ausbeutung und Gewalt rücken hier ins Zentrum. Wenn Tiere in ihrer Ganzheit als Lebewesen mit eigenen Interessen, Standpunkten und Perspektiven, Empfindungen und Erfahrungen angesehen werden, folgt daraus, dass sie in ihren Ansprüchen anzuerkennen sind und Rechte haben, denn als Akteure prägen und gestalten sie unsere Gesellschaft mit. Wenn nichtmenschliche Tiere darüber hinaus als Verwandte und Freunde als companion animals angesehen werden, führt das zu einem anderen, empathischen Umgang mit ihnen. Die Schweine auf den Bildern „Aufbruch / Einbruch“ und „Insel“ haben diese tierliche Agency. Sie nutzen das, was da ist, für ihre Zwecke und nehmen erste Gestaltungen vor – wenn auch in einer unwirklichen oder unwirtlichen Umgebung inmitten des Verkehrs – oder sie sonnen sich einfach auf der abgebrochenen bzw. aufgebrochenen Autobahn, obwohl asphaltierte Straßen nicht unbedingt ihre Wohlfühl-Orte sein dürften. In der Konfrontation mit Zerstörung werden hier wortwörtlich die Brüche in den Bildräumen deutlich. Die Ambivalenz des Collagenhaften wird über das dystopische Moment zum malerischen Mittel zur Distanzierung. Diese Gegenbilder zur Tierindustrie sind jedoch nie brutal oder unangenehm. Was irritierend wirkt, bis zur Unsicherheit, ob das alles ein stimmiges Bild ergibt. Es ist jedoch gerade dieses Befremden, vergleichbar mit dem brechtschen V-Effekt, das die Qualität von Hartmut Kiewerts Arbeiten auszeichnet. Wie beim epischen Theater wirkt die Darstellung so unterbrochen, dass Illusionen zerstört werden und eine kritische Distanz zum Geschehen eingenommen werden kann. Es wird ein neues Licht auf die Verhältnisse geworfen, um Widersprüche in der Realität sichtbar zu machen und eine kritischere und bewusstere Wahrnehmung des Gezeigten zu ermöglichen. Die notwendige Veränderung in unserem zerstörerischen Verhalten gegenüber dem Planeten mit seinen Tieren wird als offene Frage vor einem optimistischen Horizont gestellt. Die Bilder können als politische Statements gelesen werden. Hartmut Kiewert trägt so zum gesellschaftlichen Diskurs bei, um Menschen zum Handeln bewegen und zu einer veganen Lebensweise zu ermutigen. Vor allem wird gezeigt, dass Empathie möglich ist – eine solidarische Verbundenheit, die alle Lebewesen in das Recht auf Leben und Glück mit einbezieht.