Kann Kunst Tierbefreiung? // Beitrag zum Ausstellungskatalog IWBYD II

Mein Beitrag zum Ausstellungskatalog und gleichnamigen Symposium in Rahmen der Ausstellung “I WANNA BE YOUR DOG II – Animal Liberation in der aktuellen Kunst”, welche vom 05. Mai bis 01. Juli 2018 im Künstlerhaus Dortmund stattfand.

“Unter Tierbefreiung wird die Entwendung von Tieren aus Massentierhaltung, Legebatterien, Pelzfarmen oder Versuchstierlaboren, um sie in die freie Wildbahn zu entlassen oder bei Privatpersonen unterzubringen, verstanden. […] Juristisch werden Tierbefreiungsaktionen im Allgemeinen als Straftaten behandelt. […]. Da Tiere nach § 90a Bürgerliches Gesetzbuch im Allgemeinen als Sache behandelt werden, können Tierbefreiungen daher als Diebstahl im Sinne des § 242 Strafgesetzbuch (StGB) bestraft werden, es sei denn, die Tiere werden unmittelbar in die Wildnis entlassen (ausgesetzt). Das Aussetzen von Tieren ist nach § 3 Abs. 3 Tierschutzgesetz (TierSchG) verboten und wird als Ordnungswidrigkeit gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 4 TierSchG mit einer Geldbuße bestraft. Das unerlaubte Eindringen in fremde Ställe, Forschungseinrichtungen oder Zuchtbetriebe gilt im Allgemeinen als Hausfriedensbruch (§ 123 StGB). Werden dabei etwa Türen aufgebrochen, liegt zudem eine Sachbeschädigung vor (§ 303 StGB).”

(Wikipedia 2017)

Nach dieser Definition wäre eigentlich auch die Frage interessant: Kann Tierbefreiung Kunst (sein)? Könnten sich also direkte Aktionen als Performances verstehen, die sich auf die juristische Kunstfreiheit berufen, bzw. wäre hierdurch zumindest partiell so etwas wie die Aufhebung der Kunst in gesellschaftlicher Praxis möglich?

In Bezug auf das was in der heutigen rechtsstaatlich verfassten und verwalteten Welt als Sphäre der Kunst verstanden wird und zu der ich auch meine eigene künstlerische Arbeit in Abgrenzung zu meinem unmittelbaren politischen Engagement in Form von Demonstrationen usw. sehen würde, sowie in Anbetracht der eben abgesteckten Definition der Aktionsform Tierbefreiung kann die Frage ob Kunst Tiere befreien kann, zunächst mit nein beantwortet werden.

Tierbefreiung als Bewegung lässt sich aber natürlich nicht auf diese unmittelbare direkte Aktionsform beschränken. Zum einen ist die Bewegung noch zu klein, um tatsächlich alle Tiere aus den Zirkussen, Zoos, Zuchtbetrieben, Laboren, Mastställen, Schlachthöfen und Netzen der Fischtrawler zu befreien. Zum anderen ist eine wirkliche Befreiung aller ohne die grundlegende Sprengung kapitalistisch-patriarchaler Naturbeherrschung nicht möglich. Schließlich werden auch die Lebensräume der frei lebenden Tiere nach und nach durch Abholzung, Müll und Gifte zerstört, durch Autoverkehr lebensbedrohlich zerschnitten und zu allem Überfluss werden frei lebende Tiere zum Spaß von Jägern – manchmal auch Jägerinnen – erschossen.

Gesellschaftliche Tierbefreiung, also die Befreiung aller Tiere – auch der Menschen – aus Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnissen, als Ziel der Tierbefreiungsbewegung, hat neben direkten Aktionen wie Schlachthofblockaden, Zerstörungen von Hochsitzen oder eben Tierbefreiungen, als Mittel und Strategien auch Aufklärungsarbeit in Form von Infoständen und Demonstrationen, sowie die verschiedenen Ebenen wissenschaftlicher und philosophischer Beiträge, die auf eben diese Befreiung abzielen. Hierzu kann oder muss dann selbstverständlich auch Kunst gerechnet werden, die eben dieses Thema verhandelt.

In Bezug auf diesen erweiterten Begriff der Tierbefreiung lautet die Antwort also: Ja, Kunst kann Tierbefreiung! Und zwar darstellen, antizipieren und damit den gesellschaftlichen Diskurs über unser Verhältnis zu anderen Tieren beeinflussen, ähnlich sozialwissenschaftlicher oder philosophischer Beiträge.

 

Der Erkenntnischarakter der Kunst kann die Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse legitimierenden Ideologien, den Speziesismus und Karnismus, entlarven und eine Veränderung der Wahrnehmung und des Verständnisses von Tieren befördern. Das erlebe ich selbst mal mehr mal weniger auch in Gesprächen über meine Bilder, die ganz konkret Szenarien befreiter Tiere zeigen und die Utopie einer Posttierausbeutungswelt vorscheinen lassen.

Ich sehe also Kunstwerke, wie sie in “I WANNA BE YOUR DOG II – Animal Liberation in der aktuellen Kunst” gezeigt werden und auch meine eigene künstlerische Position als Beitrag zur Veränderung der Perzeption nichtmenschlicher Tiere und als einen von vielen Ansätzen zur Veränderung des Status von Tieren in unserer Gesellschaft und schlussendlich zu ihrer Befreiung.

Damit wäre die Frage “Kann Kunst Tierbefreiung?” im Grunde beantwortet. Ich möchte aber noch auf das grundsätzliche Verhältnis von Kunst und Gesellschaft bzw. Kunst und Politik eingehen und anknüpfend an die Avantgarden des letzten Jahrhunderts damit auch die heutige Definition und Trennung beider Sphären in Frage stellen.

“Die einen setzen auf Politik und Aktivismus die anderen auf selbstreferenzielle Fragestellungen. So unterschiedlich beide Positionen auch sein mögen, finden beide doch darin zusammen, dass die Stärke der Kunst verloren geht; die ambivalente Gleichzeitigkeit zweier (scheinbar) widersprüchlicher Tendenzen: Ihre Macht in der Erkenntnis und ihrer Ohnmacht in dem, was man Praxis nennt.” (Emde und Krolczyk 2013: 7f) Auch wenn ich diesen Befund so nicht ganz teilen würde, wird hier doch die berechtigte Frage nach der Autonomie der Kunst aufgeworfen.

Mosche Zuckermann differenziert zwischen so genannter “engagierter Kunst”, bei der das Politische und Außerkünstlerische das Primat über die Form habe und Kunst zur Ideologie werde auf der einen und “politischer Kunst”, die das Politische zwar zum Thema habe, bei der aber die Autonomie der Kunst gewahrt bleibe auf der anderen Seite. Hierbei sind ihm zwei Aspekte wichtig. Erstens stelle sich die “politische Kunst” im Gegensatz zur “engagierten Kunst” nicht in den Dienst einer bestehenden Herrschaft, bzw. herrschenden Ideologie. Zweitens dürfe der außerkünstlerische Zweck nicht die Oberhand über die Form bzw. den Kompositionsmodus haben, “sondern muß sich gleichsam notwendig aus ihm ergeben. […] Das Politische fungiert dabei nicht als ein Heteronomes der Kunst, sondern ist in sie integriert.” (Zuckermann 2002: 65)

Dem gegenüber hält Anselm Jappe in seinem Aufsatz “Waren die Situationisten die letzte Avantgarde?” fest: “Der Vorrang der Form über den Inhalt bildet das Zentrum der modernen Kunst wie das der Wertlogik.” Und verweist damit auf die ihrem Inhalt gegenüber indifferente Produktion unter der Herrschaft der abstrakten Arbeit.

Jedoch meint Zuckermann auf Adorno rekurrierend hier explizit nicht ein l’art pour l’art, das sich in reiner Selbstbezogenheit seiner eigenen Verwobenheit im Bestehenden nicht bewusst ist. Vielmehr ist hier mit dem Beharren auf der Form als ein Nichtidentisches und Vorschein des Utopischen, die eigentlich emanzipative Kraft der Kunst gemeint. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass wenigstens in der Kunst ein Ausblick und die Möglichkeit auf wirkliche Befreiung und nicht nur die falsche Freiheit des Marktes aufgehoben ist.

Die Übergänge zwischen der von Zuckermann beschriebenen “engagierten” und “politischen Kunst” sind sicherlich fließend. Da Kunstwerke, welche die Befreiung der Tiere als Motiv haben, definitiv nicht im Dienste einer etablierten Herrschaft stehen, sondern diese zu Fall bringen wollen, sind sie sicherlich oder hoffentlich eher der zweiten Kategorie zuzuordnen.

Darüber hinaus und gleichzeitig daran anschließend wäre zu überlegen, in wie fern die Kategorie der Kunstsphäre und die der Politik heute in Anbetracht eines erweiterten Kunstbegriffs auf der einen und der Krise des Politischen, bzw. der Politik auf der anderen Seite nicht überhaupt in Frage zu stellen wären. Ein wirklich emanzipatorisches Potential von Politik ist schließlich durchaus anzuzweifeln, so sie doch ihres Ursprungs nach auf den Nationalstaat und die durch ihn abgesicherten Sachzwänge kapitalistischer Verwertung und der damit einhergehenden Zerstörungen und Ausgrenzungen bezogen ist. (Vgl. Schandl 2008) Im Rahmen von Politik ist eine wirkliche Befreiung bzw. einfach nur das Eindämmen der ökologischen wie sozialen Krise eher verunmöglicht als realisierbar, wie aktuell bei beliebigen Regierungen als auch anhand des allgemeinen, weltweit zu beobachtenden Backlashs zu sehen ist.

Könnte Kunst eben gerade gegen diese (Real-)Politik der Sachzwänge und der Abschottung Ansätze bieten, wie die Sprengung bürgerlicher Formzusammenhänge aussehen könnte? Könnte Kunst gar zum Katalysator der Überwindung von Ideologie und Herrschaft und damit einer radikalen Befreiung von Mensch und Tier werden?

So wie die Linke die emanzipativen Versprechungen der Aufklärung einforderte, forderten die künstlerischen Avantgarden eben diese emanzipativen, in der Kunst aufgehobenen, Versprechungen von der Kunst und durch die Kunst selbst ein. Die Situationistische Internationale wollte die Aufhebung der Kunst auf der Ebene gesellschaftlicher Praxis und damit die Abschaffung aller Zwangsverhältnisse. Das namensgebende Konzept der Situationist*innen war es, durch Interventionen im Alltag Situationen zu schaffen, welche die Reduzierung auf den Warencharakter, bzw. das Spektakel durchbrechen und etwas neues zum Vorschein bringen. (Vgl. Grimberg 2006: 189ff) Tierbefreiungen könnten auch als solche Aktionen verstanden werden, da die Tiere aus der Industrie, die sie zu Waren verwurstet, befreit und wieder als Individuen behandelt werden. Die in der bürgerlichen Sphäre der Kunst nur vorweggenommene Befreiung der Tiere wird hierbei in die Tat umgesetzt.

Es bleibt also zu hoffen und dafür zu kämpfen, dass sich die gesellschaftliche Beurteilung von Tierbefreiungsaktionen dahingehend verschiebt, dass diese nicht mehr als Straftaten verfolgt, sondern als Vorbilder gesehen werden, wie die Warenform aufgesprengt werden kann.

Quellen:

Annette Emde / Radek Krolczyk (Hg.), Ästhetik ohne Widerstand. Ventil Verlag, Mainz 2013

Eiko Grimberg, Verwirklichen und Wegschaffen. Was die SI mit der Kunst wollte, in: spektakel kunst gesellschaft, Verbrecher Verlag Berlin 2006

Anselm Jappe, Waren die Situationisten die letzte Avantgarde?, krisis.org/2003/waren-die-situationisten-die-letzte-avantgarde/ (18.11.2017)

Franz Schandl, Unpopuläres zum Populismus, in: Streifzüge 42, Kritischer Kreis – Verein für gesellschaftliche Transformationskunde, Wien 2008

Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Tierbefreiung (07.11.2017)

Mosche Zuckermann, Kunst und Publikum. Wallstein Verlag, Göttingen 2002

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„Es geht darum, ein neues Zusammenleben mit den anderen Spezies zu ermöglichen. Und die Hoffnung lautet, dass da, wo man alte Formen des Unrechts weglässt, neue Formen eines besseren Miteinanders von Menschen und Tieren entstehen.

― Hilal Sezgin

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